San Vigilio, Bucht zwischen Torri und Garda. Da schwimmt ein ganzes Abendessen im See – ein Hummer, eine Ananas, ein Pizzastück und sogar eine Brezel – aufblasbar. Das braune wulstige Ding habe ich erst für einen Scheißhaufen (mit Verlaub) gehalten, für ein schwimmendes Kack-Emoji. Teutonischer Urlaubshumor, befremdlich halt, aber nicht unverständlich. Immerhin hat ein amerikanischer Ethnograph die Neigung der Deutschen zu Kot und Unterleiblichem (in der Sprache) festgestellt. Als ich beim näheren Hinschauen dann das große Braune als Brezel-Luftmatratze erkannte, war ich doch irgendwie ganz froh.
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Schlagerwasser
Der Wörthersee ist ein echtes Schlagerwasser. In Pörtschach legt das Ausflugsschiff am „Peter-Alexander-Steg“ an, in Velden behauptet eine Büste, Roy Black darstellen zu wollen. Und das fünfsternige Schlosshotel ist nicht nur Wahrzeichen von Velden und serienberühmte Filmkulisse, sondern war für viele Jahre der Lieblingsferienort von Udo Jürgens- wie der Kapitän des Ausflugsschiffes am Steg verkündet. Und er muss es ja wissen! Das ein oder andere Schlager-Sternschnüppchen war sicher auch schon da. So ein bisserl geblümter Kitsch-Glamour passt ganz gut in diese protoalpine Idylle mit Berg und Sommerfrische. ‚Aber bitte mit Sahne‘.
Rheingold
Abends in Worms: Ein Quad knattert auf die Bühne. Hagen von Tronje im Batman-Kostüm. König Etzel ist herausgeputzt wie eine Mischung aus Dschingis Khan und Ion Tiriac, die Burgunderbrüder geben die täppischen Blonden und ein Akrobat schwingt sich zirkusreif durch die Lüfte. Nibelungen? E-Gitarre, Bass und Saxophon übersetzen das mittelalterliche Epos klanglich.
In der Halbzeitpause trinken wir uns etwas durch die feinen regionalen Weine. „Jetzt verstehe ich, warum hier überall große, bunt bemalte Dinosaurier herumstehen“, sagt eine Dame im Festspielgewand. „Das soll Siegfrieds Drache sein!“ Manchmal braucht es ein ganzes Festival, um das Stadtmarketing zu übersetzen.
Siegfried, der heldische Drachentöter, tritt in dieser Aufführung nicht auf. Er ist ja schon tot als Witwe Kriemhild die burgundische Verwandtschaft an Etzels Hof lädt. Das Gemetzel am Schluss wird von grauen Gestalten getanzt, Rhythmus der Worte. Nibelungenfestspiele auf „rockig“.
Fliegender Klangteppich
Lichtblau der Novemberhimmel, die Luft wie ein leuchtgrauer Abglanz der Iznik-Fayencen, der blauen Kacheln. Der Freitag weitet sich zeitlos zwischen Hagia Sophia, Blauer Moschee, Firuz Aga Cami (Moschee); verwirbelt fliegende Händler, Pilger, zum Gebet Eilende, Bettler, verliebte Paare, zankende Paare und Touristen mit ein paar nur zu erahnenden Sonnenstrahlen zu einem sinnlichen Welt-Teppich, zu einer virtuosen Klangschale, in der sich die Muezzin-Rufe aus den umliegenden Moscheen fangen, vereinen und die Seele weit machen. Gefühl: eine wilde Mischung aus pseudo-orientalischem Kindertraum von Aladin aus Tausend und einer Nacht und den Eulenspiegeliaden des Nasreddin Hodscha.
Kulinarische Grenzgängerei… Von Austern bis Balut
Ekel kann ein aufregendes, ja fast erregendes Gefühl sein. Zumal im kulinarischen Bereich. Nah an der Scham und vom Abscheu weit genug entfernt, dass ein proto-lüsternes Schaudern sich ausbreiten kann. Wie sonst ist der Voyeurismus der Dschungel-Camp-Gucker zu erklären?
Und gewinnt der Genuss von Austern nicht durchaus auch durch die Überwindung eines zarten Ekels seinen Reiz? Das kalte, zuckende Fleisch einer Moluske sich einzuverleiben. Oder Carpaccio, das stets leicht blutig schmeckt und den Carnivoren in uns wach küsst.
Eigentlich lebe ich mit dem Vorsatz, Neugier und Erfahrungslust dem Ekel vorzuziehen, und sei es nur für einen Bissen, eine kleine Verkostung. Sandwurm und Glasaal-Kanapée fanden so ebenso den Weg durch meinen Schlund, wie Lunge, paniertes Euter oder gebratenes Kalbshirn. Ein Biss davon eben, nichts überzeugte zu mehr. Der Seeigel-Sushi, Glibber am Stück und dann das Gefühl, einen Ozean verschluckt zu haben, war durchaus interessant. Und Casu Marzu, jener verbotene Hirtenkäse den ich im toskanischen Apennin versuchen durfte, der erst dann essreif ist, wenn er von kleinen, weißen Maden bewohnt wird, habe ich mit viel Wein hinuntergespült. Okay, nicht ohne zu versuchen, von den Gastgebern unbemerkt die eine oder andere Made vom Teller zu schubsen.
An meine Grenzen brachte mich jedoch Balut, eine philippinische Spezialität: Angebrütetes Entenei, das in Meerwasser gekocht wird. Fliegende Händler bieten sie feil. Ich habe beim Essen zugesehen. Entenembryo. Kopf und Körper, große Augen, Schnabel, Federflaum, alles gut sichtbar. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, ob Schnabel und Knochen beim Kauen krachen, knirschen, Knuspergefühle auslösen. Oder ob Federflaum zwischen den Zähnen hängen bleibt. Ich glaube, ich habe den Essenden angestarrt und in meinem Gesicht ein Feuerwerk von Mikro-Expressionen in Sachen Ekel abgefeuert. Hier hat allein das Zuschauen meine Neugier mehr als befriedigt.