Am Ende sind alle tot und dazwischen haben sie schön gesungen – Tosca in der Arena in Verona

„Was passiert da gerade? Was singen die da?“ Der 11jährige Sohn von Freunden kann die englischen Obertitel auf den LED-Anzeigen in der Arena nicht lesen. Also souffliere ich ihm grob, was auf der Bühne (mit eher uninspiriertem Bühnenbild) passiert. Kurz zusammengefasst: Sie hatten Heimlichkeiten und politische Zwiste, es gab Gute und Böse, zwei haben sich geliebt, es gab Eifersucht und Intrigen und einer wollte „Liebe“ (also, naja, Sex) von Tosca gegen das Leben ihres geliebten Künstlers tauschen. Am Ende sind alle tot und dazwischen haben sie schön gesungen. So in etwa. Beeindruckend war das Solo eines Jungen. Respekt, vor so vielen Menschen zu singen und zu spielen. Er war auch der Star des Abends, was der eitle Tenor im Schlussapplaus weidlich für sich nutzte. Soviel schmonzettenhafte Gockelei habe ich noch nie auf einer Bühne gesehen.

Die Signora auf den Gradini hinter uns hatte das mittlerweile herrschende Essensverbot umgangen und knisterte und knusperte den ganzen Abend aus der Chipstüte in ihrer Handtasche. Und irgendwie war das ganz passig, so insgesamt.Giacomo Puccini:Tosca in der Arena, VeronaAbendlicher Blick in die Arena di Verona

Berlin – Herbstsonate mit Absinth

AbsinthHerbstsonate – Corinna Harfouch und Frizzi Haberland „spielen sich ums Leben“ wie die Begleiterin treffend bemerkt. Das Bühnenbild mutet an wie eine begehbare Grafik von M.C. Escher, auf der die Schauspieler umherirren – zielgenau. Wir sind geflasht von soviel Intensität und Darstellungskunst.

Danach Absinth-Bar in Mitte, goldene Tapete hinter Flaschenbatterien, Ansiduft rauchgeschwängert und der französische Beherrscher des Wunderortes trifft mit der Auswahl unserer Absinthe ideal den je individuellen Geschmack. Es „vangoght“ leicht im Oberstübchen. Theater und Bar verweben sich in unseren Köpfen zu einem stimmigen Gesamtgefühl. Berlin um Mitternacht.

Verona – Aida

Arena Verona1Von den „billigen“ Plätzen der Arena in Verona hat man eine wunderbare Aussicht über das gesamte Theaterrund, auf die Bühne und auf die nächtlichen Altstadtdächer. Und die uralten Steinstufen sitzen sich erstaunlich bequem, wenn man sich ein anlassgemäß kitschiges Sitzkissen gekauft hat. Eines mit Arena-Bild und Julia-Schmacht-Balkon darauf, so richtige für Touristen. Allerdings straft der Aufstieg in die oberen Ränge für meine Eitelkeit, unbedingt die neuen, schicken, hohen italienischen Sommerschühchen tragen zu müssen. Also würdevoll und mit Bedacht schreiten, oder besser gesagt erklimmen.

Die ambulanten Händler verkaufen „veganes Wasser“, vorurteilsgerecht betrachten sich die asiatischen Touristen das Spektakel quasi ausschließlich fotografierend und filmend auf den Displays ihrer Mobilgeräte und der Mond leuchtet wie bestellt groß, sommernachtsgelb und romantisch in die Arena. Mitten in das finale Piano (die Priester haben sich zur Urteilsfindung tief in die Kulissen zurückgezogen und singen quasi aus dem off) platzt ein fieses Brummen, an- und abschwellend. Eine Drohne kreist über der Arena, hält inne, kehrt zurück. Wachsende Unruhe unter den Zuschauern, einige suchen Schutz in den Abgängen. Mehrfach kommt das Brummsedings zurück und zieht Kreise. Wahrnehmbare Unruhe nun auch im Orchestergraben. Der gesungenen Tragödie gesellt das Kopfkino wohl allenthalben aktuelle Katastrophenszenarien bei. Nicht schön.

Die italienischen Zeitungen wissen später dann zu berichten, es sei ein amerikanischer Tourist gewesen, der sich die Oper und das zuhörende Volk mal von oben betrachten wollte. So für sich ganz allein. Verhaftet haben sie ihn erst mal trotzdem, die Carabinieri.

Herzbaracke- Anderwelt in Rapperswil

Ich mag es, wenn es schwierig wird. Heute wird alles immer nur gleich gemacht. Immer nur Tulpen, das ist doch langweilig. Ich bin ein bunter Blumengarten! Ich liebe das Chaos!“ Mit ausgebreiteten Armen steht Federico, der Impresario und Erschaffer, der Erträumer und Beleber der Herzbaracke im Raum und begrüßt das Publikum. Rot und Samt, Antiquitäten, charmanter Trödel, Kronleuchter und zwischen den Tischen Telefonbilder_September2016 779rascheln die bauschigen Röcke der Schiffsdamen, die Speisen und Getränke bringen, Rosen im Haar.

Der Begleiter ordert Champagner, etwas anderes käme uns an diesem Ort nicht in den Sinn, denn man muss sich an dem perlenden Getränk festhalten, um nicht los zu schweben und aus der Phantasmagorie zu erwachen, aus der der heutige Abend gesponnen ist. Der Regen trommelt aufs Deck, Wind  verwirbelt den See und zerrt an den Tauen. „Ne me quite pas“… und wir glauben dem Sänger irgendwann wirklich, dass er Jaques Brel sein könnte, vielleicht, und der ganze Raum ist samtrot erleuchtet und vibriert. “ Perles de pluie“ – Perlen aus Regen. Da hat sich einer seinen schwimmenden Traum geschaffen, den er leben will, funkelnd bunt und sinnlich. Und wir Drei vom Schiff mittendrin.Telefonbilder_September2016 778Telefonbilder_September2016 790

Rheingold

Abends in Worms: Ein Quad knattert auf die Bühne. Hagen von Tronje im Batman-Kostüm. König Etzel ist herausgeputzt wie eine Mischung aus Dschingis Khan und Ion Tiriac, die Burgunderbrüder geben die täppischen Blonden und ein Akrobat schwingt sich zirkusreif durch die Lüfte. Nibelungen? E-Gitarre, Bass und Saxophon übersetzen das mittelalterliche Epos klanglich.

In der HalbzeitpaWormsuse trinken wir uns etwas durch die feinen regionalen Weine.  „Jetzt verstehe ich, warum hier überall große, bunt bemalte Dinosaurier herumstehen“,  sagt eine Dame im Festspielgewand. „Das soll Siegfrieds Drache sein!“ Manchmal braucht es ein ganzes Festival, um das Stadtmarketing zu übersetzen.

Siegfried, der heldische Drachentöter,  tritt in dieser Aufführung nicht auf. Er ist ja schon tot als Witwe Kriemhild die burgundische Verwandtschaft an Etzels Hof lädt. Das Gemetzel am Schluss wird von grauen Gestalten getanzt, Rhythmus der Worte. Nibelungenfestspiele auf „rockig“.