Am Ende sind alle tot und dazwischen haben sie schön gesungen – Tosca in der Arena in Verona

„Was passiert da gerade? Was singen die da?“ Der 11jährige Sohn von Freunden kann die englischen Obertitel auf den LED-Anzeigen in der Arena nicht lesen. Also souffliere ich ihm grob, was auf der Bühne (mit eher uninspiriertem Bühnenbild) passiert. Kurz zusammengefasst: Sie hatten Heimlichkeiten und politische Zwiste, es gab Gute und Böse, zwei haben sich geliebt, es gab Eifersucht und Intrigen und einer wollte „Liebe“ (also, naja, Sex) von Tosca gegen das Leben ihres geliebten Künstlers tauschen. Am Ende sind alle tot und dazwischen haben sie schön gesungen. So in etwa. Beeindruckend war das Solo eines Jungen. Respekt, vor so vielen Menschen zu singen und zu spielen. Er war auch der Star des Abends, was der eitle Tenor im Schlussapplaus weidlich für sich nutzte. Soviel schmonzettenhafte Gockelei habe ich noch nie auf einer Bühne gesehen.

Die Signora auf den Gradini hinter uns hatte das mittlerweile herrschende Essensverbot umgangen und knisterte und knusperte den ganzen Abend aus der Chipstüte in ihrer Handtasche. Und irgendwie war das ganz passig, so insgesamt.Giacomo Puccini:Tosca in der Arena, VeronaAbendlicher Blick in die Arena di Verona

Pesina – Lago di Garda

Sommermorgen, früh, in der Dorfbar. Wettergegerbte alte Männer rufen sich beim Frühkaffee Neuigkeiten aus der Zeitung zu, von Tisch zu Tisch.

3 Hausfassaden mit geschlossenen Fensterläden, nur in einem Fenster des linken Hauses ist ein großer, runder Kaktus zu sehen.

Sommerlich verschlossene Fassaden, nur ein Kaktus hält Wacht.

Einzelne Mopeds schnattern die Straße entlang, hin und wieder schlurft ein verlorenes „Buongiorno“ vorbei.

Und der Kaktus in der Fassade gegenüber aalt sich einsam in der Sonne, die auch vor 9 Uhr schon lautstark brennt. Zikadenkonzert liegt über allem und der Duft eines heißen Sommertags.

Abends beim Aperitivo wird der Kaktus noch immer dastehen, wie im vergangenen Jahr auch.

 

 

Lob der Luftmatratze oder wenn Touristen plantschen

IMG_20210731_153544San Vigilio, Bucht zwischen Torri und Garda. Da schwimmt ein ganzes Abendessen im See – ein Hummer, eine Ananas, ein Pizzastück und sogar eine Brezel – aufblasbar. Das braune wulstige Ding habe ich erst für einen Scheißhaufen (mit Verlaub) gehalten, für ein schwimmendes Kack-Emoji. Teutonischer Urlaubshumor, befremdlich halt, aber nicht unverständlich. Immerhin hat ein amerikanischer Ethnograph die Neigung der Deutschen zu Kot und Unterleiblichem (in der Sprache) festgestellt. Als ich beim näheren Hinschauen dann das große Braune als Brezel-Luftmatratze erkannte, war ich doch irgendwie ganz froh.

Gehen am Berg – Nunatak

Love - Campo di Brenzone

Love – Campo di Brenzone

Gehen am Berg. Unten der See, unter den Füßen ein Hang des Monte Baldo. Der Bergrücken ist ein Nunatak. Wirklich! Ich liebe dieses Wort. Es klingt nach Karl May oder nach James Fenimore Cooper, nach den „Indianerbüchern“ der Kindheit. Nunatak heißt aber, dass der Berg nicht ganz von der Eiszeitdecke bedeckt war und so auf seinem Rücken Vegetation überlebt hat, die sonst vom Eis gefressen worden wäre. Voreiszeitliche Botanik in einem heutigen Garten. Von seinen Hängen schaut man ins Adige-Tal oder auf den Lago di Garda, auf Olivenhaine und das lombardische Ufer. Und weil es einem dabei so im Herz warm wird, hat im verlassenen Dorf Campo di Brenzone jemand Liebe in den Horizont gestellt. In großen roten Buchstaben.

Verona – Aida

Arena Verona1Von den „billigen“ Plätzen der Arena in Verona hat man eine wunderbare Aussicht über das gesamte Theaterrund, auf die Bühne und auf die nächtlichen Altstadtdächer. Und die uralten Steinstufen sitzen sich erstaunlich bequem, wenn man sich ein anlassgemäß kitschiges Sitzkissen gekauft hat. Eines mit Arena-Bild und Julia-Schmacht-Balkon darauf, so richtige für Touristen. Allerdings straft der Aufstieg in die oberen Ränge für meine Eitelkeit, unbedingt die neuen, schicken, hohen italienischen Sommerschühchen tragen zu müssen. Also würdevoll und mit Bedacht schreiten, oder besser gesagt erklimmen.

Die ambulanten Händler verkaufen „veganes Wasser“, vorurteilsgerecht betrachten sich die asiatischen Touristen das Spektakel quasi ausschließlich fotografierend und filmend auf den Displays ihrer Mobilgeräte und der Mond leuchtet wie bestellt groß, sommernachtsgelb und romantisch in die Arena. Mitten in das finale Piano (die Priester haben sich zur Urteilsfindung tief in die Kulissen zurückgezogen und singen quasi aus dem off) platzt ein fieses Brummen, an- und abschwellend. Eine Drohne kreist über der Arena, hält inne, kehrt zurück. Wachsende Unruhe unter den Zuschauern, einige suchen Schutz in den Abgängen. Mehrfach kommt das Brummsedings zurück und zieht Kreise. Wahrnehmbare Unruhe nun auch im Orchestergraben. Der gesungenen Tragödie gesellt das Kopfkino wohl allenthalben aktuelle Katastrophenszenarien bei. Nicht schön.

Die italienischen Zeitungen wissen später dann zu berichten, es sei ein amerikanischer Tourist gewesen, der sich die Oper und das zuhörende Volk mal von oben betrachten wollte. So für sich ganz allein. Verhaftet haben sie ihn erst mal trotzdem, die Carabinieri.

“Verdauungsmanagement” in Garda

Telefonbilder_Dezember_2015 359Fünf Leute am Kaffeetisch, Cappuccino vor dem Baden, der frühe Sommertag ist warm, der Gardasee funkelt angemessen, blaugraue Berge ringsum, die Touristen flanieren und eine Wespe versucht, sich in der Limonade zu ersäufen. Alles ganz normal an einem italienischen Urlaubstag. Wir gucken den Touristen zu und freuen uns, dass unsere Bleibe – Giardino Futuro in Pesina – uns das Gefühl gibt, hier ein bisschen einheimisch zu sein. Immerhin treffen wir uns hier seit Jahren.

Doch dann stockt das entspannte Schweigen, ein deutsches Trio betritt die Bühne, wohlgenährt und schwer bepackt, neonfarbene Warnwesten leuchten über die Promenade. Italien muss gefährlich sein, wenn das alles zur Spaziergangsausrüstung für den Altstadtbummel nötig ist.

Doch was eigentlich den Blick fängt, baumelt an einem Rucksack (der sich später als Kinder-Rückentrage entpuppt, nur war das Kind unter dem ganzen Geraffel nicht erkennbar). Ein veritabler Nachttopf. Aufbegehren gegen fremdländische Toiletten oder „Erziehung zur Sauberkeit“? Die tragen tatsächlich einen Nachttopf auf dem Rücken herum. Marion findet als erste wieder Worte: „Na, das nenne ich mal echtes Verdauungsmanagement!“

 

Unterwegs nach Verona…

Unterwegsworte – begannen als Kurznachrichten, die auf Reisen entstehen. Von unterwegs an Freunde verschickt.

15.8. 2014 Per Bahn nach Verona: Die Greise in meinem Abteil sind mutig. Sie essen Eierbrote. Vielleicht sind sie aber auch nur nasentaub (oder heißt das schwerriechig?). Überhaupt sind diese unnötigen Sechs-Personen-Abteile für taub-blinde, kurzbeinige Märchenzwerge konstruiert. Anderswer kann das nämlich nicht wirklich ertragen! Warum die Bahn mich in sowas steckt, obwohl ich immer und ausschließlich Großraum bestelle, ist mir ein Rätsel!

Es gibt Eierbrot-Regeln, und die 1. lautet: Nie im vollbesetzten Bahnabteil essen, wenn man nicht genug Eierbrot für alle hat! Eiergeruch für alle ist kein akzeptabler Ersatz!

Ich fahre südwärts durch trübes Regenland. Immer, wenn es landschaftlich hübsch zu werden verspricht, haben sie das Land untertunnelt. Gefühlte 70 % der Strecke sind unterirdisch. Ankunft Verona heute Abend 20:56.

13:55 Ab Augsburg wird es fremdländisch. Die Durchsage der kommenden Stationen erfolgt in wunderbar weißwurstigem Oberbayerisch. Irritierte Blicke bei den Mitreisenden, hysterisches Gekicher bei den Hamburger Deerns im Nebenabteil, die sich das erstmal übersetzen müssen. Am Horizont zeigen sich erste Berge. Hirschgeweihe an den Hauswänden.

15:45 Rosenheim: Zwiebeln türmen himmelwärts, Berge halten sich am Echo fest. Verirrte Wolkenfetzen haben sich in den Wipfeln verfangen wie sommerliche Vorboten des ersten Schnees.

Ich genieße die Aussicht auf Gebirge! Endlich! Himmelstürmend…

Dämmerung: Aufwachen in Bozen, das nun natürlich Bolzano heisst. Eine freundliche Nonne guckt ins Abteil, italienisch.

BolzanoNonne

Der Tag schwindet und ich habe die Berge so ziemlich verschlafen. Die Abteilsprache hat sich von Deutsch längst ins Italienische verschoben. Erste Sprachübungen mit dem Schaffner, das eingerostete rollende R abstauben. Urlaub im Ohr! Und gerade kommt die Nachricht:  in Verona wird mich Susanne am Bahnhof abholen.

 

Neulich in Garda…

Es gibt viele gute Gründe, an der Promenade von Garda entlang zu flanieren. Das Wetter, vista sul lago, um die Einkaufsbeute aus den Gassen spazieren zu tragen, sehen und gesehen werden, die Suche nach einem Platz im Café. Oder aber das Gassiführen eines jener kleinen dünnen Hunde, die bei kleinen, dünnen, englischen Blondinen (und nicht nur bei diesen) so beliebt sind. Arg viel weiter als einen Promenaden-auf-und-ab-Gang würde es das zarte Tierchen wohl kaum schaffen.

Auf den klassischen Zweck von Gassigängen sind die kleinen, dünnen Engländerinnen gut vorbereitet. Bei hündlicher Geschäftsverrichtung wird prompt der Hundekackabeutel gezückt. Nicht vorbereitet sind indes die Promenadenkaffeehaussitzer auf die gewaltige Gestankswolke, die einem solch kleinen Tier entweichen kann. Und die hängt noch schwer in der Luft, als Hündchen und Halterin mit dem wohlgefüllten Beutel längst weiter gelaufen sind. Windstiller Tag eben. Und dann der Gedanke, wie ulkig ein solcher Promenadengang sein muss, mit einem lauwarmen Beutel Scheiße (mit Verlaub) in der Hand.

Es gibt sicher auch viele gute Gründe, ohne Hund am Ufer des Gardasees zu flanieren!

Kulinarische Grenzgängerei… Von Austern bis Balut

Ekel kann ein aufregendes, ja fast erregendes Gefühl sein. Zumal im kulinarischen Bereich. Nah an der Scham und vom Abscheu weit genug entfernt, dass ein proto-lüsternes Schaudern sich ausbreiten kann. Wie sonst ist der Voyeurismus der Dschungel-Camp-Gucker zu erklären?

Und gewinnt der Genuss von Austern  nicht durchaus auch durch die Überwindung eines zarten Ekels seinen Reiz? Das kalte, zuckende Fleisch einer Moluske sich einzuverleiben. Oder Carpaccio, das stets leicht blutig schmeckt und den Carnivoren in uns wach küsst.

Eigentlich lebe ich mit dem Vorsatz, Neugier und Erfahrungslust dem Ekel vorzuziehen, und sei es nur für einen Bissen, eine kleine Verkostung. Sandwurm und Glasaal-Kanapée fanden so ebenso den Weg durch meinen Schlund, wie Lunge, paniertes Euter oder gebratenes Kalbshirn. Ein Biss davon eben, nichts überzeugte zu mehr. Der Seeigel-Sushi, Glibber am Stück und dann das Gefühl, einen Ozean verschluckt zu haben, war durchaus interessant. Und Casu Marzu, jener verbotene Hirtenkäse den ich im toskanischen Apennin versuchen durfte, der erst dann essreif ist, wenn er von kleinen, weißen Maden bewohnt wird, habe ich mit viel Wein hinuntergespült. Okay, nicht ohne zu versuchen, von den Gastgebern unbemerkt die eine oder andere Made vom Teller zu schubsen._DSC9304

An meine Grenzen brachte mich jedoch Balut, eine philippinische Spezialität: Angebrütetes Entenei, das in Meerwasser gekocht wird. Fliegende Händler bieten sie feil. Ich habe beim Essen zugesehen. Entenembryo. Kopf und Körper, große  Augen, Schnabel, Federflaum, alles gut sichtbar. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, ob Schnabel und Knochen beim Kauen krachen, knirschen, Knuspergefühle auslösen. Oder ob Federflaum zwischen den Zähnen hängen bleibt. Ich glaube, ich habe den Essenden angestarrt und in meinem Gesicht ein Feuerwerk von Mikro-Expressionen in Sachen Ekel abgefeuert. Hier hat allein das Zuschauen meine Neugier mehr als befriedigt.