Herzbaracke- Anderwelt in Rapperswil

Ich mag es, wenn es schwierig wird. Heute wird alles immer nur gleich gemacht. Immer nur Tulpen, das ist doch langweilig. Ich bin ein bunter Blumengarten! Ich liebe das Chaos!“ Mit ausgebreiteten Armen steht Federico, der Impresario und Erschaffer, der Erträumer und Beleber der Herzbaracke im Raum und begrüßt das Publikum. Rot und Samt, Antiquitäten, charmanter Trödel, Kronleuchter und zwischen den Tischen Telefonbilder_September2016 779rascheln die bauschigen Röcke der Schiffsdamen, die Speisen und Getränke bringen, Rosen im Haar.

Der Begleiter ordert Champagner, etwas anderes käme uns an diesem Ort nicht in den Sinn, denn man muss sich an dem perlenden Getränk festhalten, um nicht los zu schweben und aus der Phantasmagorie zu erwachen, aus der der heutige Abend gesponnen ist. Der Regen trommelt aufs Deck, Wind  verwirbelt den See und zerrt an den Tauen. „Ne me quite pas“… und wir glauben dem Sänger irgendwann wirklich, dass er Jaques Brel sein könnte, vielleicht, und der ganze Raum ist samtrot erleuchtet und vibriert. “ Perles de pluie“ – Perlen aus Regen. Da hat sich einer seinen schwimmenden Traum geschaffen, den er leben will, funkelnd bunt und sinnlich. Und wir Drei vom Schiff mittendrin.Telefonbilder_September2016 778Telefonbilder_September2016 790

Greyhound Baltimore-New York

Es gibt eine goldene Greyhound-Regel: Setze Dich nicht in die Nähe der Bordtoilette. Eine weitere Regel lautet: Wenn man zu spät einsteigt, wird man genau diesen Platz ergatterTelefonbilder_September2016 1016n. Toll. Den kurzen Gedanken, die Toilettengänge der Mitreisenden mit Sätzen wie „Wow, that was a good one!“ oder „Please don’t stink“ zu kommentieren, gleich wieder verworfen. Dafür war das Bordprogramm um so unterhaltsamer. Der Busfahrer geriet mit einem Mitreisenden in Streit. Am Hoboken-Tunnel mit Blick auf Manhattan erwartete uns dann eine veritable Polizeisperre mit Warnhütchen, quergestellten Autos und Geblinke, zog den betreffenden Passagier aus dem Bus und bot eine schicke Verhaftungsshow mit allem drum und dran. Durch die Busfenster betrachtet wirkte die Szene wie aus einer TV-Krimiserie. Alle Polizisten hatten irische oder italienische Namen, bewegten sich breitbeinig und mit männlicher Bodenhaftung, am Gürtel beschwert durch Holster, Marke, Schlagstock, Funkgerät, baumelnde Handschellen… so in der Art. Wie im Film halt. Nur die riechbare Anspannung war echt.

Im Gegensatz Telefonbilder_September2016 996zu meinen Mitreisenden habe ich mich nicht getraut, meinem  Voyeurismus per Smartphone Raum zu geben. Also: die anderen beim verschämt-lüsternen Filmen beobachtet. Der vor mir Sitzende tippt zwischendurch whatsapp Botschaften auf chinesisch und ich frage mich, wie das geht mit „lateinischer“ Tastatur und über 1000 Wort-Bild-Zeichen.

Baltimore – Hometown der Serie Homicide

Telefonbilder_September2016 1005Das Air BnB in der Nähe der John Hopkins Universität sieht zauberhübsch aus, ist aber nur tagsüber in einer sicheren Gegend. Nachts sollte ich ein Taxi nehmen und nicht auf der Straße herumlaufen, auch nicht von der Bushaltestelle hierher, rät der Vermieter im Gehen. Na klasse. Dickschädelig halte ich mich nicht daran. Allein der Gang zum Sandwichladen 100 Meter die Straße runter wird zur cultural experience. Das Weiß meiner Haut fällt auf, mein Fremdsein. Die Brille, Kleidung, Körperhaltung alles europäisch. „Leben viele schwarze Menschen in Deutschland?“ und dann „do you like black guys“? Ich kann das Angesprochenwerden nicht einordnen, ist das Anmache oder will jemand da nur auf unbeholfene Weise nett sein? Oder vielleicht meinen Rassismusfaktor austesten?

Den Weg zum Liquor Store, um ein Bier zum Sandwich zu kaufen, lässt mich der schwarze Hausverwalter dann nicht mehr alleine gehen. „Well, you know, there are some deals, like a little bit of dope or cocaine, weapons“… und als Fremde würde ich wie eine billige Geldquelle wirken.

Mein erster Gedanke: Ich bin doch keine Sissi die man beschützen müsste. Widerwillig stimme ich der Begleitung zu. Wenn man mich einmal mit ihm sehen würde, dann wüssten die Leute, dass sie mir nichts tun dürften, meint er. Okay. Der Liquor Store, anderthalb Blocks die Straße runter, wirkt wie aus einem miesen Ghetto-Film entsprungen. Vergitterte Verkaufsschalter, Panzerglas, der Verkaufsraum, der eher einer Wildwest-Miniatur-Schalterhalle gleicht, ist voll mit abgelebten Gestalten, aufgedunsen, gehetzte Blicke, Gier, kaum gezügelte Aggressivität gegen alles und nichts. Armut, Not und Sucht machen zornig. Ich würde gern gucken, beobachten, starren. Eine versteckte Kamera wäre jetzt großartig! Schwer identifizierbare Körpergerüche stehen fest im Raum, Angst, Bratfett, Urin, Kot, Schmutz, Fusel, billiges Parfüm. Weiß bin nur ich. Die Andere. Die Fremde. Fehl am Platz. Und ich bin tatsächlich froh, dass Ray mich nicht allein gehen ließ.

Nur am Hafen gibt Baltimore vor, eine nette Stadt zu sTelefonbilder_September2016 1050ein.

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Washington DC – Von Helden und Unholden

Die amerikanische Reisebegleiterin ist schon in New York wegen eines familiären Notfalles zurück nach St. Louis gereist. Also reise ich unbegleitet weiter ich fühle mich in der  eigentlich gemeinsamen Reisestation Washington DC gestrandet, irgendwie verloren. Da heißt es, sich an Museen festhalten. Kultur als Sicherungsort. Freundliche Irritationen im Marine-Museum, museales Erstaunen im „International Spy Museum“ und beglückende Seherfahrungen im Smithsonian. Kunst ist toll. Und tröstet.

Im Herzen der Hauptstadt ist viel Grün, mehr Landschaft als Park, mittig durchsetzt von natioTelefonbilder_September2016 1115nalem und vor allem militärischem Gedenken. Da stapfen wachsame Soldaten des Koreakriegs durchs Unterholz, Vietnamkämpfer in Bronze stehen Wacht. Anrührend ist tatsächlich die schwarzglänzende, in den Boden versenkte Wand des Vietnam-Memorials. Kein nationalstaatlicher Schnickschnack, nur Namen. Tausende von eingravierten Namen. Und bis heute kommen Angehörige, pausen die Namen ihrer gefallenen Verwandten ab, hinterlassen Nachrichten für getötete Kameraden. “To the Four Left Behind” steht auf dem Umschlag. Hier haben Trauer und das namenlose Entsetzen einen Raum, viel mehr als in den mit Flaggen und Fahnen bestückten Heroisierungsräumen, wie etwa Bush’s World War II Monument, das fast nahtlos an die Ästhetik von Mussolinis faschistischer Kunststadt EUR anknüpft.Telefonbilder_September2016 1097Telefonbilder_September2016 1096

Neulich in Klagenfurt

Bei Klagenfurt fallen einem natürlich Ingeborg Bachmann und Robert Musil ein. Literatur ist hier jedoch eine Werktags-Angelegenheit. Samstag und Sonntag ist das Musil-Museum geschlossen. Auch das Ingeborg-Café hat sonntags zu. WenigMusil-Café KLagenfurt 2015stens das Musil-Café hat geöffnet. Dichters Konterfei auf der Karte, rauchgeschwängerte Luft, eine Räucherbude. Der Tresen besetzt von Biertrinkern. Die mitgebrachten Literatur-Bilder im Kopf passen nicht zum Ort. Und Frau allein mit Buch vor Kaffee passt wohl auch nicht zum Ort.

„Grüß Gott ich bin der Jörg und das ist der Roman“ kommt das Gesprächsangebot vom Nebentisch. Nachdem man sich kurz über den Ausländerstatus versichert hat (Woher? Aus Hannover?) rutscht „der Jörg“ näher, lächelt (okay, es war wohl eher ein Grinsen) und sagt: „Hannover kenne ich, da kommt die Teresa Orlowski her, ich habe mal in derselben Branche gearbeitet wie die.“ Stutzige Denkpause. Äh, Orlowski… oh! Und jetzt habe ich erst recht falsche Bilder im Kopf. Zuviel Information! Im Musil-Café in Klagenfurt.

Der Lindwurm

Kärnten gehört nicht wirklich zu Österreich, glaube ich. Zumindest scheint es ein Problem mit der K&KTelefonbilder_Dezember_2015 110-Geschichte zu geben. Wohl thront Maria-Theresia auf dem zentralen Platz in Klagenfurt. Aber von der gegenüberliegenden Platzseite speit sie ein Drache an. Zwar nur mit Wasser, aber er speit!

Auf meine Frage, was es denn mit dem monumentalen Drachen auf sich habe, korrigieren die Studentinnen am Café-Tisch im Lindwurm KLagenfurtChor: „Aber das ist doch der Lindwurm!“ Aha. Für mich ist das ein Wort, das in Märchen wohnt. Nicht so in Klagenfurt. Da thront der Lindwurm auf dem Rathausplatz und auf Torten. Und er ist kein Drache!

Alpenländische Rundfahrt

Die Österreicher haben mitunter einen etwas speziellen Umgang mit ihrer Landesgeographie. „Im Raume lesen wir die Zeit“, schrieb Karl Schlögel. Im österreichisch-geographischen Raum lassen einen die Bahnstreckenplaner Zeit im Wortsinn erFAHREN: Der Zug zum Wiener Flughafen fährt ab Klagenfurt über Salzburg nach Wien. Das ist etwa so, als ob man von München über Berlin nach Stuttgart führe. Eine ordentliche Runde also.  „Aber naa!“ retourniert der österreichische Begleiter. „Wir Österreicher sind touristenfreundlich. Rundfahrt muss sein!“ Klar, muss sein!